Kult und Symbol

7-4-01 Über Drehungen

27. August 1920, Sergiev Posad

1. Wenn man sich an Ort und Stelle umdrehen muss, beispielsweise um das Myron zu spenden oder den Segen usw., dann vollzieht sich das im liturgischen Sinne von rechts nach links. Da der Zelebrant in der Regel mit dem Blick nach Osten steht, so kann man auch davon sprechen, dass die Wendung von Osten über Norden nach Westen führt. Dagegen vollzieht sich das Zurückwenden in die Ausgangsposition wiederum von rechts nach links, also vom Westen über den Süden nach Osten. Sowohl das Umdrehen als auch das Zurückwenden geschehen gegen den Uhrzeigersinn. Wenn man sich vorstellt, dass die Drehung des Zelebranten elektrischem Strom entspricht, so wäre sein Kopf nach der Ampèreschen Regel der Nordpol.

2. Solcherart ist auch die Richtung anderer Bewegungen in der Kirche. Vor allem muss bemerkt werden, dass der Platz des Zelebranten vor dem Altartisch ist, und ihn deshalb die einzelne Bewegung oder eine Gesamtheit solcher Einzelbewegungen zwingend wieder an diesen Ausgangsplatz gegenüber dem Altartisch zurückbringen muss. Bewegungen in der Kirche sind also letztlich geschlossen, kreisförmig und in sich zurückkehrend. Ob Bischof oder Diakon – alle sind diesem Gesetz der geschlossenen Bewegungsbahnen untergeordnet. Die Richtung der Umkreisungen ist dabei wiederum dem Uhrzeigersinn entgegengesetzt, also ist es auch wieder so, dass bei deren Ersetzung durch die entsprechende Richtung elektrischer Ströme nach der Ampèreschen Regel der Nordpol dieses Stromkreises oben wäre, unten dagegen der Südpol, folglich würden die magnetischen Kraftlinien aus dem Kopf oder dem Ort des Kreislaufs insgesamt sich nach oben erstrecken und in die Beine umgekehrt wieder eintreten. Bildlich gesprochen induziert der Zelebrant so etwas wie ein Kraftfeld, das von der Erde zum Himmel gerichtet ist. Doch betrachten wir einige Details. Wenn der Altartisch beweihräuchert wird, einmalig oder in manchen Fällen dreifach, so wird dabei gegen den Uhrzeigersinn um ihn herumgegangen. Ebenso ist es beim Weihräuchern der Ikonen, des Kreuzes usw., bei der Prozession um das Taufbecken, bzw. um Kreuz und Evangelium bei der Ehekrönung. Das Herumgehen um den Altartisch zur Bischofskathedra zum Beispiel beim Prokimenon der Vesper und bei der Epistellesung der Liturgie erfolgt von der Westseite des Altartischs, wo der mit Blick nach Osten Zelebrierende steht, nach rechts Richtung Süden, dann nach links Richtung Norden – also gegen den Uhrzeigersinn. Die Rückkehr erfolgt vom Bischofssitz, also von Osten, in Richtung Norden, nach rechts (denn der Priester schaut ja jetzt nicht nach Osten, sondern nach Westen), anschließend nach links, Richtung Süden. Der eine wie der andere Weg führt gegen den Uhrzeigersinn. Der nächstgrößere Kreis führt zum Ambo. Auch er wird in gleicher Richtung vollzogen, d.h. an der Südseite des Altartisches und am Bischofssitz vorbei, durch die nördliche Pforte zur königlichen, d.h. gegen den Uhrzeiger. Die Rückkehr erfolgt dann entweder durch die königliche Pforte oder, häufiger, durch die südliche, wobei der Drehsinn unverändert bleibt. Ob bei den Fürbitten, beim kleinen Einzug der Vesper und der Liturgie, dem großen Einzug bei der Liturgie, oder beim Heraustragen des Kreuzes zur Verehrung wie auch des Grabtuches Christi und des Grabtuches der Gottesmutter – jeder Ausgang aus dem Altar vollzieht sich gerade so. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen: Wenn der Priester während des Cherubimhymnus vom Altartisch weg zum Rüsttisch geht, und wenn am Ende der Liturgie beim Ruf „Allezeit, jetzt und immerdar..“ die Heiligen Sakramente zum Rüsttisch weggetragen werden, so wird in diesen beiden Fällen gewöhnlich, zumindest in der Russischen Kirche, der Altartisch entlang seiner Nordseite verlassen, so dass der Bewegungssinn in Uhrzeigerrichtung ist. Es muss vermutet werden, dass dies eine zufällige Unachtsamkeit und Regellosigkeit ist, vielleicht dabei nur in der Russischen Kirche, denn das Heilige Lamm beispielsweise wird während der Liturgie der vorgeweihten Gaben, nach dessen Entnahme aus dem Ziborium, an der Südseite des Altars zum Rüsttisch übertragen, also gegen den Uhrzeigersinn. Es ist möglich, dass die genannten zwei Abweichungen sich durch ein unliturgisches Streben, den kürzesten Weg zu wählen, erklären lassen, umso mehr, als beide entsprechenden Momente der Liturgie wegen der Schnelligkeit des sich Vollziehenden ein sparsames Umgehen mit der Zeit und eine möglichst zügige Ausführung erfordern. Es wäre wichtig zu erfahren, wie diese entsprechenden Bewegungen bei den Altgläubigen vollzogen werden, den Griechen usw., und herauszufinden, ob es nicht in den Handschriften Spuren der frühen liturgischen Praxis in diesem Zusammenhang gibt.

3. Den nächsten großen Kreis bilden Prozessionen im Innenraum der Kirche. Dies sind insbesondere die kleinen Einzüge in der Vesper und in der Liturgie. Hier geht die Bewegung von der Westseite des Altartisches aus weiter wie üblich, an dessen Südseite und am Bischofssitz vorbei zur nördlichen Pforte. Anschließend steigen die Zelebranten die Altarstufen gegenüber dem nördlichen Chor herab und vollziehen einen Rundgang durch die Kirche, περὶ ναοῦ, wie es die Kirchenordnung ausdrückt, d.h. innen den Wänden entlangfolgend, womit ein Abschreiten der Gläubigen mit Blick in ihre Richtung gemeint ist[1]. Sie gehen zuerst die Nordseite entlang, dann West- und Südseite, betreten beim südlichen Chor die Altarstufen und gehen auf der Solea zur königlichen Pforte und in den Altar zurück. Mit anderen Worten ist auch diese Prozession der Uhrzeigerrichtung entgegengesetzt, folglich kann von ihr dasselbe gesagt werden wie schon von den Kreisbewegungen kleineren Ausmaßes. Daneben gibt es aber noch das Abschreiten des Kircheninnenraums beim vollständigen Beweihräuchern, das scheinbar dem dargestellten Bewegungssinn widerspricht, denn es beginnt nach Verlassen des Ambos zuerst in südlicher Richtung, und setzt sich über die Westseite zur Nordseite des Gotteshauses fort. Allerdings macht es nur den Eindruck, dass der Bewegungssinn entgegengesetzt ist, denn beim Weihräuchern muss der Zelebrant als mit dem Blick zur Wand gerichtet aufgefasst werden, von den Gläubigen weg, was sich aus der Aufgabe selbst, das Gotteshaus zu beweihräuchern, ergibt. Folglich muss seine Bewegung hier doch als nicht im Uhrzeigersinn, sondern entgegengesetzt gerichtet betrachtet werden.

4. Einen noch größeren Rundgang bildet die Prozession um das Gotteshaus herum, jene mit dem Grabtuch, die Kreuzprozessionen zum Beispiel in der Osternacht, solche an Patronatsfesten, und andere. Hier vollzieht sich die Bewegung im Kreis um die Kirche, d.h. mit dem Blick zu ihr.

Weiter über Kreuzprozessionen (Streit mit den Altgläubigen), Prozessionen um die Dörfer, Felder usw. Weiter über das Verirren, die natürliche Wendung, Tiere und Pflanzen, Rekurrenzen (geometrische Zeichnungen) [?].


[1] Das Evangelium wird dabei den Gläubigen zuweilen zur Verehrung gereicht. Mit dem Rauchfass werden sie beweihräuchert. [Anm. Florenskijs]

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