VI. Sophia

13.1.1923

Der Name Sophia ist der weibliche Aspekt des männlichen Namens Wasilij, aber nicht im Sinne einer Manifestation des männlichen Namens in der weiblichen Persönlichkeit, sondern als ein Phänomen, das parallel zu diesem und unabhängig von ihm ist. Sophias Haltung zu Wasilij ist ganz und gar nicht wie Alexandras Haltung zu Alexander, sondern eher zum Beispiel nach dem Vorbild von Anna im Verhältnis zu Alexej. Sophia ist keine männliche Norm, die von einer Frau erfüllt wird, sondern eine eigenständige weibliche Norm, analog zur entsprechenden männlichen. Wenn man will, hat diese weibliche Norm sogar Vorrang vor der männlichen, und Sophia kann als Typus erkannt werden, der ein bestimmtes geistliches Antlitz deutlicher ausdrückt als Wasilij. Etymologisch gesehen ist σοφία keineswegs Weisheit im modernen Sinne des Wortes, als von reiner Kontemplation und theoretischem Wissen erfüllt. Wenn wir das Wort σοφία in unsere moderne Sprache übersetzen wollten, dann wäre es am treffendsten, Kunst zu sagen, im Sinne der schöpferischen Fähigkeit, der Verkörperung einer idealen Idee in einer konkreten Welt, im Kirchenslawischen aber – хитрость (Geschicktheit, Durchdachtheit). Mit anderen Worten, etymologisch gesehen steht der Name Sophia dem Inhalt nahe, der oben als die geistliche Struktur des Wasilij anerkannt wurde. Aber im Namen Wasilij steckt in Wirklichkeit weniger Kreativität und mehr organisatorische Tätigkeit, als es die Etymologie des Namens Sophia andeutet. Letzterer enthält, d. h. dank seiner Etymologie, einen unmittelbareren Einfluss auf die Welt, als es für Wasilij charakteristisch ist, der intellektueller und daher in seiner Tätigkeit mittelbarer ist. Die Tätigkeit des Wasilij ist der Vernunft zugänglicher – und erscheint uns daher näher, gar menschlicher, als die spirituelle Energie, auf welche σοφία mit der Wortwurzel hinweist – die Energie der höheren Ebenen des Daseins, die kreativer und der abstrakten Analyse weniger zugänglich sind. Aber diese Etymologie der Sophia ist nicht nur eine Etymologie, sondern auch die metaphysische Erscheinung dieses Namens selbst.

Sophia ist göttlicher als Wasilij. Im Übrigen ist es ja auch nachvollziehbar, dass die weibliche Tätigkeit, die intuitiver, mehr aus der Tiefe kommend, weniger bewusst und weniger zergliedert ist, nach ihrer Natur ihrer ja weiblichen Persönlichkeit in ihrem allgemeinen Charakter der Kreativität der geistigen Kraft in der Natur näherstehen kann. Und außerdem ist weibliche Aktivität zu einem großen Teil, in größerem Maße als die der Männer, nicht die Aktivität der Frau selbst, sondern anderer Kräfte in der Frau. Hieraus erklärt sich die größere Ähnlichkeit und Affinität dieser weiblichen Tätigkeit zum Schöpferischen der Weltseele und deren tiefster geistlicher Verankerung in der schöpferischen Weisheit Gottes, der Jungfrau Sophia.

Da Sophia aber intuitiv ist, hat sie ihren Intellekt (schwach oder stark, je nach Fällen) als ein dienendes Organ des Geistes und erlebt daher keine scharfen Konflikte zwischen Intuition und Vernunft. Die Vernunft, die nicht nach Autonomie strebt, verführt sie daher nicht zum Rationalismus und bewahrt immer in dem einen oder anderen Grade die Treue zu den echten Eindrücken des Lebens.  Die Intuition ihrerseits, da sie das Werkzeug ihrer Selbstanalyse und Selbstexpression stets bei sich hat, neigt nicht dazu, das Bewusstsein in Form eines Unterbewusstsein oder Überbewusstsein zu zerreißen. Bevor es sich manifestiert, steigt das Unterbewusstsein allmählich durch die Formen der Vernunft auf, filtert und balanciert sich in ihnen aus. Daher ist der Begriff der Antinomie selbst für Sophia wenig zugänglich, in ihrem Bewusstsein beschäftigt sie sich mit den Produkten der Verarbeitung von Wahrnehmungen, nicht aber mit rohen Wahrnehmungen. Sie kennt die Intuition als einen besonderen Geschmack des Bewusstseins, kennt aber nicht das Unterbewusstsein und das Überbewusstsein. Sophia hat Sensibilität und den daraus resultierenden Lebenstakt, aber prophetische Durchbrüche aus dem Unterbewusstsein, wie ein Schrei anderer Welten über sie, erreichen sie nicht: Ihre innere Struktur ist zu kohärent, um solche unkoordinierten und unvorhergesehenen Offenbarungen hereinzulassen. Sophia ist zu stabil in sich selbst, um ein Ding zu sein. Sie bleibt, weder im Schlechten noch im guten Sinne, der Wirklichkeit gegenüber wehrlos, und auf jeden Einfluss von außen wird unzögerlich eine zweckmäßige und klare Reaktion folgen, die durch das Wesen der Sache bestimmt und zugleich charakteristisch für die Persönlichkeit Sophiens ist. Und trotz des Sophia eigentümlichen Selbstschutzes des geistigen Organismus die jenseitige Welt dennoch unerwartet in sie einbräche, so würde solch Unerwartetes Sophia sehr verwirren und erschrecken: Sophie ist es gewohnt, vor Überraschungen geschützt in einer zuverlässig errichteten Abgrenzung von der Außenwelt zu leben, in einer, wenn auch bescheiden, so doch festgefügten täglichen Ordnung der geistigen Ökonomie. Sie hat den Willen zur Ordnung und Zentrierung, vermöge derer sie geneigt ist, sich an dem nächstgelegenen von ihr Organisierten und Geordneten, d.h. an der Kohärenz ihrer eigenen Tätigkeit oder wieder an der Harmonie ihrer eigenen Persönlichkeit zu orientieren. In sich proportional in ihrer Tätigkeit, neigt sie dazu, in ihr ein gewisses allgemeines Kriterium zu sehen. Sophia ist autark, sie lebt, ohne die Idee der Inkommensurabilität ihres eigenen Komforts mit der Welt als Ganzes zu akzeptieren. Das Tragische als Kategorie ist ihr nicht nur fremd, sondern feindlich, es wird aus ihrem Bewusstsein verdrängt, und wenn sie dem Tragischen im Leben begegnet, erlebt sie es, wenn auch in tiefer Trauer, so doch ohne die Süße des Gefühls von Unendlichkeit, d.h. als nicht tragisch. Trotz der Weite des Blicks, der Treue und der Festigkeit des Geistes [Nous] versteht Sophia also das Dionysische nicht und ersetzt den Begriff desselben durch einen anderen Begriff – den vom Unzulänglichen, auf seine Weise Unvollkommenen, Perversen, aber nichtsdestoweniger Vernünftigen und Normativen: Formlosigkeit ist für sie nur Formlosigkeit, ledig ihrer qualitativen Charakteristik. Vor dem spirituellen Blick Sophias liegt das Richtige, das Verhältnismäßige, das die Grenzen und Umrisse Bewahrende. Die schreckliche, atemberaubende Unendlichkeit, die katastrophal jedes errichtete System hinwegfegt, erreicht in ihrer eigentümlichen und unvergleichlichen Größe nicht das Bewusstsein Sophias: Sie erkennt und versteht nicht die ursprüngliche Finsternis, Tjutschews Nacht, und deshalb bleibt sie, die selbst Strebende und Verkörpernde, der noumenalen Grundlage des Seins, der Ousia, geistig fremd. Hier gibt es einen gewissen Widerspruch zwischen Sophias Aktivität und ihrem Bewusstsein: Sophia steigt aus dem durchsichtigen und harmonischen Himmel der Normen auf die zähflüssige und in ihren Gewalten angespannte Erde herab; Sophia will nicht in reiner und untätiger Kontemplation verharren, sie will zum Aufbau und zur Organisation hinabsteigen. Aber zugleich kennt sie das dunkle, glückselig-dunkle und schöpferisch überschäumende Dunkel, in das sie hinabsteigt, nicht in sich selbst und versteht es daher auch außerhalb von sich selbst nicht. Ein wirklicher Impuls, dessen ganze Bedeutung nur in seiner wesenhaften Unermesslichkeit liegt, erscheint Sophie nur als Unordnung; gern würde sie, ohne ihn ganz zu verleugnen, diesen mäßigen – und es liegt jenseits ihres Verständnisses, dass dies bedeuten würde, ihn, aufgrund seines Wesens selbst, dabei entschieden zu zerstören.

Aus ihrer weiten Perspektive wird Sophia keine Maßnahmen ergreifen, um das Dionysische auszurotten, vielleicht auch deshalb, weil ihr natürlicher Takt sie im Voraus das Scheitern solcher Versuche fühlen lässt; aber dieser wird auch nicht imstande und zudem nicht willens sein, seine eigene Wahrheit dionysischer Zerrissenheit zu erkennen, er wird sich nicht mit dem Dionysischen versöhnen, sondern es nur ertragen, teils mit Verachtung, teils mit Hochmut.  Sophia ist sich bewusst, dass sie eine Mission hat, und tritt daher nicht als Glied der Welt als Ganzes in die Welt ein, nicht als Bindeglied in der gegenseitigen Verantwortung und existenziellen Verbindung der Welt, sondern weltordnend, gesetzgebend (die erste bezieht sich vorwiegend auf Sophia, die zweite auf Wasilij), mit einem Wort – als Macht. Ihre Herablassung gegenüber der Welt wurzelt nicht in der Erkenntnis der Wahrheit der Welt und nicht in dem Bewusstsein ihrer eigenen Schwäche, die sie mit der Welt gemein hat, sondern in der Trennung ihrer selbst von der Welt und der Entgegensetzung ihrer selbst als Macht, als Quelle der Weltordnung, gegen die im Jammertal feststeckende Welt, die daher, nach ihrem Urteil, natürlich über niedrige Dinge nachdenkt. In Sophia gibt es keinen geistlichen Stolz in dem Sinne, dass sie sich selbst als Erste in diesem himmlischen Reich bezeichnen würde; und es gibt keine Liebe zur Macht in Sophia, kein Verlangen, andere um ihrer selbst willen, im eigenen Namen zu unterwerfen. Aus dem Bewusstsein ihres nichtirdischen Schicksals, das Sophia irrtümlich für das vorzüglichste hält, ohne dabei den Gedanken zuzulassen, dass auch die hässliche Nacht von Gott ist und Gott näher sein kann, bezieht Sophia ihren Machtanspruch und glaubt, dass ihr die Macht von Natur aus, durch die Beschaffenheit ihrer Persönlichkeit natürlich zukommen müsse. Sophia eignet sich die Macht an und tut es mit einem unbefleckten Gewissen; nie wird ihre Hand zittern aus Zweifel, ob sie damit Recht hat. Und sie kann auch nicht zittern, Sophia übernimmt die Macht und erfährt dabei von anderen keinen Widerstand, weil dies schließlich im Namen der Wahrheit und des Guten geschieht – der einzigen Wahrheit und des einzigen Guten, das Sophia bekannt ist. Sophia hat ein angeborenes Gefühl, dass sie von Natur aus den Menschen um sie herum überlegen ist – nicht durch ihre persönlichen Tugenden, sondern durch ihre Geburt. Man kann dies vielleicht vergleichen mit der Selbstwahrnehmung von gekrönten Häuptern, die sehr bescheiden von sich selbst denken, sich ihrer Fehler bewusst sind, leicht zu handhaben und rücksichtsvoll sind und sich doch durch eine besondere Art, durch eine natürliche Autorität von anderen Menschen getrennt fühlen. Sophias Selbstwahrnehmung von sich als Macht ist in ihr so lebendig und deutlich, dass jede Nichtanerkennung ihrer Macht durch andere einen inneren Protest hervorruft – nicht aus verletztem Selbstwertgefühl oder unbefriedigter Eitelkeit, sondern als eine Art Unwahrheit, als Verzerrung der rechten Ordnung. Daher der Eindruck des Stolzes, den Sophia oft auf diejenigen macht, die nicht rücksichtsvoll genug sind, obwohl dies kein Stolz ist, sondern etwas anderes, viel Tiefergehendes. Sophia ist ordentlich, organisiert, besitzt die Fähigkeit, das Leben zu leben und zu organisieren, und in diese Lebensordnung bringt sie sowohl die Kunst als auch die Wissenschaft ein, mit denen sie sich beschäftigt und zu denen sie fähig ist, aber gerade in dem Maße, wie sie in der allgemeinen Ordnung des Lebens anwendbar sind, als Mittel, und nicht als Kulturzweck an sich, und daher scheint es ihr, dass der Ungehorsam gegen ihre Autorität nicht Ungehorsam gegen sie, sondern gegen das Richtige und Angemessene ist. Auch Wasilij neigt nicht dazu, direkte Gewalt anzuwenden, sondern zieht es vor, die Normen, die er durchsetzt, durch ein komplexeres System von Überredungen, Überzeugungen und Verlockungen zu erreichen. Als Weib und als Geschöpf einer weiter von der Erde entfernten Ebene, wo alles durch eine Anziehungskraft auf das Ziel und nicht durch den Impuls einer Ursache verbunden ist, liegt Sophia der Gedanke an Gewalt noch viel ferner als Wasilij und erreicht das selbstgesetzte Ziel durch feinste Organisation innerer Einflussnahmen. Ich weiß nicht, welches Wort ich dafür wählen soll, denn bei „Verführungen“ spielt der Begriff der Wirkung auf die dunkle Ousia mit, auf die Adressierung des Unbewussten; die Art und Weise, wie Sophia auf ihre Umgebung einwirkt, ist jedoch transparenter, mehr ausgerichtet auf das Bewusstsein und subtilste intellektuelle Emotionen sowie den sittlich-emotionalen Bereich. Sophia appelliert an die gewaltigen Aufgaben der Lebensgestaltung und an die damit verbundenen Gefühle. Selbst wenn es sich um eine kleine Angelegenheit handelt, die scheinbar ohne allgemeine Bedeutung ist, entdeckt Sophia für sich selbst und für andere darin das Moment der objektiven Bedeutung und betont es. Unwahrhaftigkeit und Zwiespalt sind der Normativität Sophias höchst fremd. Die Ehrlichkeit, besonders die Ehrlichkeit des Wortes, die für Sophia charakteristisch ist, zeigt sich in der Bestimmtheit der Ausdrücke, in ihrer Vollständigkeit, die keine unausgesprochenen Verknüpfungen übriglassen darf. Diese Direktheit könnte auch in Härte umschlagen, würde sie nicht durch ihren Takt gemildert. Letzterer darf sich jedoch in keiner Weise subjektiver und heuchlerischer Koketterie nähern: Die Abwesenheit von Koketterie ist eines der charakteristischen Merkmale von Sophia. Auch innere Koketterie, also ein unauthentisches Verhältnis zur Wirklichkeit, ist ihr fremd: Tagträumen, sich Illusionen schaffen, schmeicheln – all das geht Sophia nichts an.

So weicht Sophia in der Struktur ihres Geistes beträchtlich von der Weiblichkeit ab, was aber nicht bedeutet, dass sie männliche Züge hätte: ihre Organisation nähert sich der männlichen an, da letztere selbst sich von der polaren Teilung der menschlichen Natur distanzieren und dem engelhaften, beiden Geschlechtern gemeinsamen Grundtypus der Menschheit nähern kann. Und in Sophia gibt es diese „engelhafte Festigkeit“ – es ist nicht die Festigkeit des verknoteten, festen männlichen Körpers, sondern die elastische Kraft eines sehr trainierten weiblichen Organismus, ebenso bedeutsam wie äußerlich unbemerkbar. Sophia ist nicht einfach eine Frau, die erobert, ohne es zu wollen, sie ist auch nicht nur eine Macht, der Zustimmung egal ist. Sie ist die Zar-Jungfrau oder, wie die Georgier es über die halbmythische Tamara ausdrückten, die Zar-Zarin. Und in ihrer mikrokosmischen Selbstgenügsamkeit erinnert Sophia an Alexander, mit dem Unterschied, dass bei Alexander das innere Gleichgewicht statisch ist, während Sophias Gleichgewicht kinetisch ist, und sie weilt, wenn nicht im Äußeren, so doch in der inneren Bewegung, in einem unermüdlichen Spiel des inneren Lebens. Trotz des Unterschieds im Ursprung der Gleichgewichte beider ist in Sophia dieselbe innerste Unzufriedenheit wie in Alexander. Sie ist zu monumental, um für sich selbst, in der Wirtschaft, die sie verwaltet, einen bequemen Platz zu finden. Das warme Fleisch der Welt findet nicht seinen rechtmäßigen Platz in ihrer Weltanschauung, dabei ist es gerade dieses, was die Wärme und Gerechtigkeit alles Persönlichen, des persönlichen Leben und persönlichen Beziehungen bestimmt. Sophia hat ein für alle Mal beschlossen, die Welt aus einer solchen Höhe zu betrachten und zu regieren, von der aus diese Wärme nicht sichtbar ist, und daher ist selbst der Begriff davon aus dem Kreis ihrer Gedanken verbannt. Infolgedessen ist es für Sophia schwierig, in Demut und Dankbarkeit das menschliche Leben in der Fülle der Menschlichkeit als ein legitimes und gerechtes Gut zu betrachten; als zentriert im Leben hat sie die Segnungen des Lebens, mehr als viele Menschen um sich herum, aber nicht zu ihrem eigenen Wohl und nicht zu ihrer eigenen Freude. Sie schätzt sie nicht positiv, sondern gewöhnt sich daran, sie als etwas Selbstverständliches zu betrachten, zusammen mit der Macht; und da sie diese nutzt, ohne über sie nachzudenken, erträgt sie nur schmerzlich und mit innerem Protest ihren Verlust.

Nichtsdestoweniger lebt die menschliche Ousia unter dieser monumentalen und majestätischen Erscheinung noch und bringt, wenn auch mit Mühe, ihre Forderungen ins Bewusstsein, ihre Impulse zu dem, was dem Herzen näher ist als die wahrhaftigste Wahrheit. Der Urgrund der Persönlichkeit, der nicht die Fülle der Manifestation über die Persona hat, empfindet sich selbst und seinen Namen als – majestätisch, zu majestätisch für sich selbst.  Die Verachtung der Sophia für das Fleisch hat als Kehrseite die Empfindung der Fremdheit zu sich selbst als Persona und mit dieser zu ihrem eigenen Namen. Wenn dieser dunkle Urgrund der Persönlichkeit stark ist, kann Sophia, wie unter ihrem eigenen Namen begraben, von fatalistischer Niedergeschlagenheit, Apathie, Lethargie und Todessucht ergriffen werden. Aber der Tod wird hier, keineswegs als Übergang in eine andere Welt für erstrebenswert gesehen, sondern als Protest der Ohnmacht seitens des Lebens, das zwar wünscht, sich auszudrücken, aber nicht die innere Möglichkeit dazu hat. Dann flieht Sophia vor dem Leben, vor dem Durst nach Leben. So kann Sophia, die bewegliche und aktive, immer präsente Energie, ständig oder zuweilen vorübergehend, in Phasen, als ein scheinbar völlig anderer Typ und Zustand in Erscheinung treten – träge, schläfrig und apathisch, als Son-Sonja [Соня – die Koseform v. Sophia; сон = Schlaf]; in Übereinstimmung mit solchem geistigen Zustand aber wird sie übermäßig füllig sein, ohne Gesichtsfarbe, gerade wie eben erwacht. Doch man muss sich von diesem Anblick nicht täuschen lassen: In dieser Traumsonja schwelt unter der klammen äußeren Erscheinung besonders schmerzlich tiefste Unzufriedenheit und passive Vermeidung von Gefühlen, deren heilige Wahrheit zu verstehen sie viel zu weit entfernt ist, um sie entweder aktiv befriedigen oder ihnen, die Schwachheit der Tragödie erfahrend, aktiv entsagen zu können.