Alexander
1922.XII.16 (1915.II.6)
Dieser Name entspricht im Grunde dem sanguinischen Temperament mit einer Neigung zum Choleriker. Edelmut, Offenheit der Stimmung, Leichtigkeit im Umgang mit Menschen sind charakteristisch für diesen Namen; Leichtigkeit, jedoch nicht Oberflächlichkeit. Zu den Merkmalen des Namens gehören auch Herzlichkeit und Freundlichkeit. In Bezug auf die Frauen sind es Zuvorkommen und Höflichkeit, die ohne zu zögern und ohne inneren Widerstand dazu übergehen, den Hof zu machen – gewöhnlich jedoch der Höflichkeit wegen, als etwas, das sich so gehört und erwartet wird: Es ist die Bereitschaft, so schnell wie möglich den nötigen Tribut zu zollen, und sie hat das innere Maß, einen leichten Flirt nicht zu überschreiten, der so schnell endet, wie er beginnt. Diese Beziehungen, wie auch die Beziehungen zu den Menschen im Allgemeinen, pflügen nicht das gesamte innere Leben um: Wenn man auch nicht sagen kann, dass sie bloß an der Oberfläche vorbeigleiten, so wäre die vielleicht passendste Umschreibung „rollen“: wie zwei sich berührende Walzen, die gewissenhaft einander drehen, ohne durch diesen vorübergehenden Kontakt Leid zu erfahren, dafür auch keine Sehnsucht, wenn der Kontakt zu Ende geht. Während bei Zahnrädern jedes sich im Gleichtakt mit dem anderen drehen soll oder sich entfernen muss, um nicht gebrochen zu werden, ist bei sich reibenden Walzen diese Entsprechung der Geschwindigkeiten nicht unbedingt erforderlich: Jeder der Walzen ist fast gleichgültig gegenüber der Art und Weise, wie sich die mit ihr in Berührung gekommene dreht. Dies spiegelt die Lebensbeziehungen von Alexandern, dasselbe gilt aber auch für die noetischen (gedanklichen) Berührungen. Es gibt die gleiche Flexibilität und Bereitschaft, wie auch die gleiche Gleichgültigkeit gegenüber, oder vielmehr die gleiche Nichtzulassung von Denken, das unter die Haut geht. Alexanders Verstand ist klar und nüchtern, leicht ironisch, schnell und vielseitig. Aber es ist ein Intellekt, der selbstzufrieden mit seiner Harmonie ist, und er hat Angst vor Fragen, die die Eingeweide zerreißen und so das etablierte Gleichgewicht natürlich stören könnten. Deshalb ist dieser Intellekt zwar recht weit, schützt sich jedoch vor dem Pathos der Ganzheitlichkeit – er ist stark und schnell, jedoch ohne spirituellen Ansturm: Er wägt mit Recht viele Dinge, bricht aber nicht in die Tiefe vor – weniger, weil er es nicht könnte, als vielmehr aus Schutz vor Erschütterungen.
Der Edelmut dieser geistlichen Konstitution, ihr Rittertum, ist in ihr nicht Funke oder Impuls, sondern eine zur Regel gewordene Neigung, und nimmt daher leicht einen etwas künstlichen Charakter an. Dann wirkt dieser Edelmut programmatisch und abstrakt, wiederum aber nicht als listige Maske, sondern als eine aufrichtig geschätzte Rolle, die, zum Teil aus Eigenliebe, aufrechterhalten werden muss. Die Bereitschaft, für jede Wahrheit einzustehen, ist zu förmlich, und die Wahrheit „überhaupt“ kann bei den Alexanders im Besonderen, im konkreten Leben, zur Unwahrheit werden. Eine gewisse Kälte des Intellekts wird, um die Harmonie zu wahren, durch Affektiertheit kompensiert.
Dieses „Überhaupt“ in seinem Charakter macht den Namen Alexander typisch für große Männer, er passt am besten für sie, denn dieses „Überhaupt“, mit lauter Stimme gesprochen – gerade so verwendet man es in großen Dingen –, wird allgemeinmenschlich und wahrhaft human. Der Name Alexander will ein Mikrokosmos sein, und wenn er genügend Nährmaterial für dessen Gestaltung erhält, wird er zu einem solchen: zu einem Genie. Aber diese Harmonie und Selbstzufriedenheit des Namens Alexander kann nicht für jeden erreichbar sein; und obwohl die Kraft fehlen mag, ein Großer zu werden, strebt seine Struktur doch unwillkürlich zur Größe. Ein Baobab in einem Blumentopf ist immer noch ein Baobab, wenn auch verkümmert und schwächlich; und wenn jemand ihm sagen würde, dass es für ihn besser wäre, unter diesen Bedingungen Radieschen zu sein, hätte er wohl recht – sein Rat wäre jedoch vergeblich. So ist auch Alexander also Alexander; die „Größe“ in Miniatur, die „Größe“ der gewöhnlichen Alexanders führt zu Bonsaibäumen japanischer Gärten. Bei den Alexanders findet sich häufig eine gewisse subtile Entrückung vom Leben. Bei ihnen sind einige dünne, fast unsichtbare Haarwurzeln abgeschnitten, doch diese Wurzeln sind für die Ernährung unerlässlich; sie verlieren sich in die Tiefen des Lebens, in andere Welten. Daher eine gewisse Neigung zu abstrakten Prinzipien, zur Konstruktion des Lebens nach Schemata, zur Rationalisierung – wenn auch in sehr subtiler und verborgener Form: Alexander wird nicht von seinem Willen zum Rationalismus entrückt, nicht von der Hitze einer sich selbst behauptenden Vernunft, sondern vom Mangel an Lebenswurzeln, die ihn auf die Probe stellen und nähren; sein Rationalismus ist nicht positiv, sondern negativ. Diesem subtilen Rationalismus fehlt es daher an offensiver Energie, Fanatismus, Leidenschaft, er offenbart eine Bereitschaft zur Flexibilität und Nachgiebigkeit, ist weich, oder genauer gesagt, elastisch und weltlich. Der oben erwähnte programmatische Charakter der Alexanders hat seinen Ursprung in einem Mangel an engem Kontakt mit dem Kosmos; Alexander sieht bei sich das Demonstrative nicht, weil er keinen Zustrom von außen hat, dessen existentielle Viskosität seinem schematischen Verhalten entgegenstehen würde: Er nimmt abstrakte Schemata zur Grundlage, wiederum nicht aus besonderer Liebe zu ihnen, sondern in Ermangelung ursprünglicher Lebenseindrücke aus der Tiefe. Und seine überlegte Natur wird von ihm nicht als Unaufrichtigkeit, sondern als eine remplissage seines Lebens von bester Art gewertet – und ja, von allen remplissages ist diese wohl der beste Ausweg; in der Tat: Wenn ich keine Inspiration zum Handeln habe, die Notwendigkeit zu handeln aber besteht, dann ist bewusster Edelmut einer unedlen Haltung gleichen Maßes vorzuziehen. Ein großer Alexander hätte, als Mikrokosmos, in sich selbst die Quellen der gewünschten Lösungen gefunden; auch der kleine Alexander muss, als ebenfalls in sich geschlossener, in sich selbst nach solchen Quellen suchen, und die der Überlegung entspringende Lösung ist natürlich schematisch und abstrakt, aber dennoch harmonisch, soweit eine vernünftige Lösung harmonisch sein kann.
In Verbindung mit jener Eigenschaft, für die es keinen passendere Bezeichnung gibt als Entrücktheit, obgleich es diese Bezeichnung nicht so ganz trifft, gewährt der Name Alexander einer Persönlichkeit Gesetzgebungsgewalt. Nicht durch den Willen zur Macht, sondern kraft seiner übervitalen und bis zu einem gewissen Grad auch extravitalen Struktur wird Alexander leicht zum Zentrum bestimmter Normen für die Menschen um ihn herum und setzt sich, gewollt oder gezwungen, auf ein gewisses Podest. Dies ist eine Manifestation von Alexanders Selbstbezogenheit bzw. Selbstgenügsamkeit, die oben erwähnt wurde: Er ist eine Monade ohne Fenster, oder, genauer gesagt, <…>
Im Großen ist diese Eigenschaft der Selbstgenügsamkeit Bedingung für das Geniale. In geringeren Fällen – für eine Art Unanpasstheit an das Leben, wenn auch in einem subtileren Sinn als hinsichtlich äußerlicher Erfolge; das Leben der Alexander ist durchaus von Erfolgen begleitet, die weit über dem Durchschnitt liegen, aber diese heben den subtileren Eindruck einer Art Glücklosigkeit oder Unvollendetheit nicht auf.
Doch ob es nun das Genie oder das Unfertige des Lebens ist, beides führt als Eigenschaft der Monade zu innerer Einsamkeit: Freunde und geliebte Mitstreiter, wertvolle Gesprächspartner und gern willkommene Gäste, im Verhältnis zu allen und überhaupt, können und wollen sie nicht werden, insbesondere nicht gegenüber einzelnen Personen: Eine solche Einzigartigkeit würde geradewegs in ihre harmonische Welt eindringen und die Fenster öffnen, die in ihr geschlossen bleiben sollen. Die besten Freunde, die es geben kann, die Alexander, sind nicht die besten Freunde, sind es gerade deshalb nicht, weil sie so rund sind, auf jeden zurollen, niemanden mit scharfen Kanten verletzen, sich aber auch nicht an irgendjemandem verhaken. Vielleicht braucht die Freundschaft wie der Zement das Leiden, und wo alles glatt ist, gibt es keinen Boden für eine Vereinigung, welche die monadischen Hüllen zerreißen könnte. Die Liebenswürdigkeit der Alexanders erlaubt es ihnen gar nicht, völlig nahe und vor allem völlig offen zu sein: Eine solche Nähe wird immer von einem tragischen Klang begleitet, und Tragödie und Dionysisches sind untrennbar miteinander verbunden. Die Alexander selbst lehnen das Dionysische ab, da es ihrer bereits gegebenen Ganzheit gerade entgegengesetzt ist. Intimität bis zum Ende erscheint den Alexanders sowohl peinlich als auch unfair und zudem affektiert. Es ist bemerkenswert: Alexander erkennen wirkliche Affektiertheit im Stil der französischen Tragödien an, wenn sie bewusst ist, und fürchten sie als affektierte Auswüchse des Lebens, wenn sie spontan ist – sie fürchten sich vor der griechischen Tragödie.
Kraft ihrer Selbstgenügsamkeit, kraft ihres monarchischen Charakters können Alexander sehr freigebig, großzügig und weitherzig sein; Sie können ihr Eigen opfern, ohne zurückzublicken. Aber sie sind wenig geneigt, sich selbst zu opfern, und das schafft in ihrer Nähe ein Hindernis für sehr engen Kontakt, und umgekehrt ihr Gefühl von Entrücktheit und ein ebensolches mit ihnen. Von der Oberfläche her lebhaft und fröhlich, nähren sie im Inneren ein Rinnsal des Pessimismus. Trotz der Erfolge, trotz der universellen Anerkennung, sind sie nicht zufrieden: Etwas Entscheidendes fehlt. Aber dieser Pessimismus ist weder ihre theoretische Überzeugung, die im Gegenteil eher optimistisch ist, noch ein organischer Schmerz, sondern etwas Sekundäres und Abgeleitetes, wenn auch Notwendiges: der untrennbare Schatten ihrer Selbstgenügsamkeit.
Daraus folgt: Alexander ist nicht der tiefste Name, sondern der harmonischste, der in sich selbst proportionalste.