VII Anlage 2– Feste. Weihe der Realität. Die Symbolik des Gottesdienstes
7-2-01 Die Ontologie der Feste
„Heute wird Christus in Bethlehem von einer Jungfrau geboren; heute nimmt der Anfanglose seinen Anfang, und das Wort nimmt Fleisch an.“
(Gottesdienst zum Fest der Geburt Christi, Sticheron auf „Ehre…“)[1]
In der Mehrzahl der Gesänge wiederholt sich dieses „heute“ mit dem Präsens im Prädikat:
„Himmel und Erde sollen sich heute prophetisch freuen, Engel und Menschen mögen geistlich jubeln“, weil „heute ist im Fleische zu schauen der Seinem Wesen nach Unsichtbare, um der Menschen willen“, weshalb „alle Engel jubeln im Himmel und die Menschen sich heute freuen, alle Geschöpfe ergötzen sich um des zu Bethlehem geborenen Herrn und Erlösers“[2].
„Die Geburt unseres Erlösers Jesus Christus. Ostern. Ein dreitägiges Fest“[3].
Ebenso das Verkündigungsfest, Entschlafen (1. Sticheron auf „Herr, ich rief zu Dir…“) usw.
[2] Stichera der Litija [Vers aus der Großen Vesper] am Fest der Geburt Christi, ebenda S. 284 f.
7-2-02 Die Noumenalität der Feste
(In Analogie zur Eucharistie) stellt sich bei uns unausweichlich stets die Frage: Ersteht nicht wieder und wieder in der „lichtglänzenden Nacht“[1] des Heiligen Osterfestes Christus Gott Selbst auf, so wie Er auch in der Eucharistie wieder und wieder zum Opfer dargebracht wird? Oder anders – woher kommt jene geistliche Erhebung, allgemeine Freude und Begeisterung, von denen alle und jeder von uns an diesem Tag erfasst werden? Und was bedeutet dieser Aufruf der Kirche:
Lasset uns reinigen die Gefühle, und wir werden Christus in dem unnahbaren Licht der Auferstehung strahlen sehen, und deutlich Ihn rufen hören: „Seid gegrüßt!“, wir, die wir das Siegeslied singen?[2]
Wie muss diese stete Behauptung verstanden werden, dass gerade „heute“ Christus aufersteht und gerade „dieser“ heutige Tag der „hochberühmte und heilige Tag, der einzige, der König und Herr der Sabbathe, … das Fest der Feste und der Feiertag der Feiertage“[3] ist, weshalb alle eingeladen werden, durch die Feier erleuchtet zu werden und einander zu umarmen (Sticheron des Osterfestes)[4]? Wenn das Osterfest nur ein Gedenken an die Auferstehung ist und folglich nur ein Erinnern durch uns, die Menschen, was bedeutet dann der Aufruf der Kirche zur Freude an alle Geschöpfe? „Die Himmel mögen sich freuen, die Erde jubeln, die ganze Welt, die sichtbare und die unsichtbare, feiern. Denn Christus ist erwacht. Ewige Freude!“[5] Was bedeutet die Versicherung „nun ist Alles erfüllt mit Licht, Himmel und Erde und die Unterwelt“[6]… (die Auferstehung in der Ewigkeit schauen) …
Wie erklärt sich letztlich die Tatsache, dass die Kirche unmittelbar nach der Osterwoche (am Radoniza-Fest) und vor dem Pfingsttag das Gedenken der Verstorbenen vollzieht? Ja, natürlich vollzieht sich dieses Gedenken nur kraft des Glaubens daran, dass Christus wirklich, gerade jetzt, auferstanden, und deshalb das Gebet für die Verstorbenen nun besonders wirksam ist. Der ganze Gottesdienst am Pfingstsamstag beruht auf der Idee der Zerstörung der Ketten des Todes durch den Herrn… Nicht umsonst empfinden es Christen als Glück, an diesem Lichten Fest zu sterben. Der Begräbnisritus… „die wir alle in Christus auferstehen…“, „in der Hoffnung auf die Auferstehung…“[7] usw.
Das Gebet für die Verstorbenen ist in dieser Zeit besonders wirksam. Gebet am Abend des Pfingstsonntags: „Der Du auch an Deinem hocherhabenen und heilbringenden Feste das Flehen um die, welche im Hades gehalten werden, anzunehmen geruhtest“[8]. An diesem Tag ist Gott besonders nah: „Du Gebieter, der Du … an diesem Tag uns das Geheimnis… offenbart hast“[9] und andere Stellen des Pfingstgottesdienstes, wo dieser Tag betont wird.
[1] Kanon des Osterfestes, Ode 7, 3. Vers, in: BT S. 7 (dt.: FBT S. 684)
[2] Ebenda, S. 3 (Ode 1, 1. Vers) (dt.: S. 672)
[3] Ebenda, S. 7 (Ode 8, Irmos) (dt.: S. 685)
[4] Ebenda, S. 9 (Stichera auf „Ehre… jetzt…“) (dt.: S. 697)
[5] Ebenda, S. 3 (Ode 1, 2. Vers) (dt.: S. 672)
[6] Ebenda, S. 3 (Ode 3, 1. Vers) (dt.: S. 674)
[7] TREB S. 154, 158 (Die Zitate sind dem Ritus beim Begräbnis verstorbener Priester entnommen, dt. in: Maltzew, A.: Begräbniss-Ritus und einige specielle und alterthümliche Gottesdienste der orthodox-katholischen Kirche des Morgenlandes, Berlin 1898, S. 182)
[8] Drittes Gebet der Kniebeugung, in: BT S. 259 (dt.: FBT S. 921)
[9] Ebenda
7-2-03 Eucharistie
Christus lebt, schmecket und sehet! Der Herr, Der einst um unseretwillen uns gleich geworden ist und Sich Seinem Vater zum Sühneopfer dargebracht hat, wird immerdar geopfert, auf dass geheiligt werden alle, die an Ihm teilnehmen.
(Kanon vor der Heiligen Kommunion, 9. Ode)[1]
NB 1) „immerdar geopfert…“, doch „ein für alle Mal“ (Hebr 7,27) „… sich dargebracht hat“ – die Eucharistie als Phänomen des Überzeitlichen in der Zeit.
NB 2) „Seinem Vater zum Sühneopfer“. Dies ist aber die Häresie des Soterichos Panteugenos, die wegen der Worte „Denn Du bist der Darbringer und der Dargebrachte, der Empfänger und der Ausgeteilte…“ entstanden war. Wem wurde das Opfer dargebracht? Dem Wesen der Allheiligen Dreiheit, nicht aber dem Vater. – Wer hat diesen Kanon verfasst? Dies wäre wichtig zu wissen.
Bei den Juden wurde zuhause gebetet (Keil: Biblische Archäologie)[2]:
Während des Morgenopfers – in der dritten Stunde (Apg 2,15).
Mittags – in der 6. Stunde (Mittagszeit ist eine unreine Zeit, die 6 eine unreine Zahl) (Gen 3,8; Lk 23,44)[3]
Während des Abendopfers – in der 9. Stunde (Dan 9,21; Apg 3,1)
Morgen 12 Uhr Abend
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3. Hore 6. Hore 9. Hore
Abgeschlossene Grobstruktur des psychischen Lebens…
Die Nicht-Welt bestimmt die Welt.
Die Nicht-Zeit die Zeit.
Der Nicht-Raum den Raum.
Überhaupt wird alles Hiesige vom Jenseitigen bestimmt. So wird auch der Alltag von den Festen bestimmt und nicht umgekehrt, weshalb der erste Tag der Woche der Sonntag ist, nedelja [von russ. ne delat‘ = nicht tun; im Kirchenkalender bezeichnet nedelja den Sonntag und die darauffolgende Woche]. D.h. leere, mit nichts belegte Zeit – Leere.
Der Festtag bringt die Zeit mit.
[…]
I‘) 1) Intention und die 4 Momente der Sakramente allgemein,
II‘) 2) Aufbau des Gebets und Untersagungsgebets. Heiden- und Christentum,
II) 3) Weihe der Zeit,
II) 4) Heiligkeit der Zeit, „die Geschöpfe spielen“. Hier, heute,
III) 5) Weihe des Raumes (Einzug, „Weisheit!“, Weihräuchern, Segnung, Kult der Türen: Übergang in […],
IV) 6) Heiligkeit der Feste. Vorbestimmtheit der Orte im Kult. Heiligkeit nicht von dieser Welt (vgl. Vater Nikander),
III‘) 7) Natur der Namen,
I) 8) Weihe von Stoffen (nötig noch: Formel der Kraft und Wirkung usw.), Streuung des Heiligen,
9) Heiligsein und Geheiligtsein,
10) Weihe der 4 Elemente (in S. 11 einbauen),
11) Weihe der Welt: Streuung des Heiligen,
12) Grenzen der Kirche,
13) Stehenbleiben der Zeit, anhand der Apokryphen,
14) Stufen der Weihe
15) Weihe der Ikone durch ihren Namen,
16) Weihe des Gesellschaftlichen – Ortswechsel, Reise, Beginn eines Werkes, Ausbildung,
17) Weihe der Macht
1) Gebet über einem Amtsinhaber
2) Tonsur.
Am Donnerstag zu Nesterov um halb zwölf, nach alter Zeit.
Über das Wunder der myronspendenden Häupter. Reinigung eines Gefäßes. Dann:
1) über den Brunnen,
2) über das Wasser (vom Lanzett geträufelt),
3) über die Glocke,
4) über den königlichen ἅγιος (Symeon von Thessaloniki).
Geburtstag der Martyrer. Die Schönheit der Heiligen.
13) Die Zerstreuung des Heiligen – Weihe der Welt,
14) Weihe des Raumes und der Zeit,
15) Weiheformeln (Begriffe).
Taufe = Name Christi, Gottes (Dreiheit) = Beschneidung = Name Jahwes.
Die 4 Elemente.
[1] PGB S. 262 (dt. S. 160); Ode 9, 1. Vers
[2] (verm.) Keil, Carl Friedrich, Handbuch der biblischen Archäologie, 1858, russ. Ausgabe, S. 428
[3] Die russ. Ausgabe verweist hier versehentlich erneut Apg 2,15).
7-2-04 Die Antinomie des Kreuzes (Wirklichkeiten, Realitäten)
Die Antinomie des Namens (des Wortes, des Sinnes).
Die Sakramente werden durch die Verbindung zweier Antinomien vollzogen, des Sinnes und der Realität. So sind wir zum Ausgangspunkt zurückgekehrt […]
Antinomie – zweifache Antinomie des antinomisch Verbundenen. Ich habe doch gesagt, dass wir […] werden.
Der Kult, die Vereinigung von Sinn und Realität, geschieht kraft der Vereinigung des Wirkens von zweierlei antinomisch in ihm Verbundenem: des Sinnes – des Namens, sowie des Kreuzes – der Realität, welche selbst Antinomien sind. Soweit vorerst der Endpunkt unserer Überlegungen.
7-2-05 Kult. Weihwasser. Alltag
Zum Schutz der Felder vor Hagelschlag wurden an den Ecken des Feldes kleine Fläschchen oder Gläser mit dem an Epiphanien geweihten Wasser vergraben. „Und wahrlich gab es bei uns nie Hagelschläge.“ (Ivan Semenovič Efimov, Künstler, Gutsherr in der Provinz Tambow[1])
[1] Ivan Semenovič Efimov (1878 – 1959), russ. Bildhauer und zusammen mit seiner Frau Begründer der russischen Puppenspieltradition. Florenskij lernte ihn 1921 kennen, als er in der Kunstschule VChuTeMas zu unterrichten begann. Nina Jakovlevna Simonovič-Efimova zeichnete Florenskij häufig und notierte ihre gemeinsamen Gespräche. Dem Puppenspiel der Jefimovs widmete Florenskij 1924 einen Aufsatz.