Religion und Kultur,  S-I-N

2-5-01 Gegen die Evolution. Die Vollkommenheit des ägyptischen Tuchs

Michail Chvostov, Essays zur Geschichte von Gewerbe und Handel im griechisch-römischen Ägypten (Kazan 1912, Seite 6-9) [1]:

Ägyptisches Tuch der frühen Geschichtsepoche, d.h. der ersten Dynastien …

… beeindruckt die heutigen Techniker durch die Präzision der Ausführung, die auch für die moderne Technik ungewöhnlich ist. So verweist Fl. Petrie auf die Binden der Mumien des Königs Djer (1. Dynastie), die sich durch sehr hohe Regelmäßigkeit des Gewebes und eine herausragende Feinheit auszeichneten. In der Kette kommen hier 160 Fäden auf einen Zoll und im Schuss 120, während es moderner feiner Batist auf 140 Fäden je Zoll bringt[2]; somit ist ein handgewebtes Produkt aus den ersten Anfängen der ägyptischen Geschichte (mindestens älter als 3000 Jahre vor Christi Geburt) seiner Qualität nach den besten Erzeugnissen moderner komplexer Webmaschinen mit mechanischem Antrieb fast ebenbürtig.

Proben der ägyptischen Webkunst aus der Zeit der 3. Dynastie wurden erst vor Kurzem mikroskopisch analysiert, und die Ergebnisse zeigten eine überaus hohe Vollkommenheit dieser Stoffe. Die Fadenzahl in Kette und Schuss betrug hier 48 x 80 je Quadratzoll (Muster A) und 42 x 120 (Muster D). Diese zweite Probe (D) übertrifft in ihrer Feinheit das feinste irische Gewebe unserer Tage[3]. Dabei ist es von Bedeutung, dass diese Stoffe nicht aus Königsgrabstätten stammen, sondern aus einer kleinen Begräbnisstätte in Oberägypten (nördlich der Meidum-Pyramide)[4]. Nicht weniger interessant sind in diesem Zusammenhang die Tücher einer Grabstätte aus der Zeit der 5. Dynastie in Deshasheh, die ebenfalls von Petrie beschrieben wurden[5]; auch hier handelt es sich nicht um Stoffe aus Königsgräbern, sondern um solche aus den Grabstätten königlicher Beamter[6], und dennoch ist festzuhalten, dass diese Stoffe ebenso fein sind wie heutige, wenn nicht feiner.[7]

Interessante Beispiele für die besten Stoffsorten des Alten Reichs stellen übrigens die Binden für die Mumien der Könige aus der 6. Dynastie Pepi I. und Merenre dar. Stücke davon sind im Besitz eines Berliner Museums[8] sowie der Sammlung von Theodor Graf in Wien. Proben aus der zuletzt genannten Sammlung wurden von Ingenieur Braulik einschlägig untersucht, wobei er fand, dass einige Stoffe von Mumien des Menenre aus sehr feinem Garn gewebt sind: Die Kette entspricht unserer heutigen Garnstärke 140 – 160[9], der Schuss gar einem 300er Faden, wobei auf einen Zentimeter 36 – 40 Kett- und 12-16 Schussfäden kommen. Über die Kettfäden in den Stoffen der Mumien Pepi I. sagt Braulik, sie seien dermaßen fein, dass es schwerfallen dürfte, heutzutage eine Garnstärke dafür zu finden (sie beginnen bei 300 erst)[10].  Die Fasern, aus denen die Fäden bestehen, zeigen, dass die Ägypter bereits in jener Zeit hervorragende Spezialisten im Flachsanbau und in dessen Verarbeitung waren.[11]

In der Zeit der 3. Dynastie konnten die Ägypter Zwirn für die Kettfäden herstellen[12]. In den Grabstätten des Mittleren Reiches sehen wir Darstellungen der Technik zur Herstellung aufwendiger Zwirne aus mehreren verdrillten Fäden.[13]

Schon in der Epoche der ersten Dynastien kannten die Ägypter viele Sorten von Stoffen unterschiedlicher Dichte und Feinheit.[14] Noch differenzierter ist die Terminologie, die sich in der Zeit der 6. Dynastie für Sorten von Tuchen herausgebildet hat.[15]

Charakteristisch ist auch, dass bereits in der Epoche des Alten Reichs die Stoffherstellung zur Massenproduktion wurde: In einem der reichen Gräber der 6. Dynastie (des hohen Beamten Mena) ist in den Inschriften von 100.000 Stücken verschiedener Tuchsorten die Rede[16]. Alle bekannten Stoffe jener Zeit stellen Leinentücher dar…“

ebenda, S. 12 f.:

 Was die Gewebe selbst betrifft, so kann, wo bereits für das Alte Reich die vorhandenen Exemplare eine hochentwickelte Webtechnik für gebräuchliche feine Stoffe bezeugen, für spätere Epochen die Existenz noch diffizilerer Gewebe festgestellt werden, die kompliziertere technische Hilfsmittel erforderten. So konnten die Weber in der Zeit der 11. Dynastie bereits Gewebe mit recht komplexen Fransenstrukturen herstellen.[17] Stoffe dieser Sorte konnten zu Beginn des Neuen Reiches nach Einschätzung eines heutigen Experten jedoch nur unter Verwendung eines entsprechend komplexen Webstuhls hergestellt werden (mit 3 Schäften).[18] In der Grabkammer von Thutmosis IV. (18. Dynastie) wurden gemusterte Leinengewebe gefunden, die wiederum eine besondere Technologie erforderten. Übrigens befindet sich unter diesen Geweben, die nun im Museum von Kairo aufbewahrt werden (Nr. 46525 – 46529), ein Teil eines Gewands mit dem Kartuschering des Amenophis II., mit Emblemen der königlichen Herrschaft und anderen Hieroglyphen; dieses Ornament ist nicht eingestickt, sondern eingewebt, offensichtlich nach der Gobelin- Methode mit verschiedenfarbigen Fäden (roten, blauen, grünen, gelben, braunen oder schwarzen und grauen). Auch weitere Gewebeexemplare aus diesem Grab zeichnen sich durch ihre Feinheit und verhältnismäßig hohe Schwierigkeit in der Herstellung aus.[19]

Einige Proben von Geweben aus der 22. Dynastie, welche ebenfalls von Braulik untersucht wurden, erforderten nochmals komplexere Hilfsmittel. So fand er in der Sammlung von Theodor Graf ein Stoffmuster, an dem er zeigen konnte, dass die Ägypter in jener Zeit in der Lage waren, Säcke und Kleider ohne Naht zu weben.[20] Diese Art von Geweben erforderte hochentwickelte Hilfsmittel, die Braulik in etwa rekonstruiert hat.[21] Zu jener Dynastie lassen sich auch gemusterte Stoffe zuordnen, welche Braulik untersucht hat und nach Meinung dieses Experten der Weberei einen Webstuhl mit nicht weniger als 4 Schäften erforderten.[22] Und [Friedrich Wilhelm von] Bissing stellt fest, dass Gewebe mit eingewebten statt eingestickten Mustern bereits seit der 18. Dynastie anzutreffen sind.[23]

Ebenda, S. 14:  Über Webstühle (anhand der Bilddarstellungen).

S. 16: Hochwebstuhl aus dem Neuen Reich, und wie Braulik vermutet, sogar mit Fußstützen, d.h. mit Fußpedalen.


[1] Chvostov, Michail: Essays zur Geschichte von Gewerbe und Handel im griechisch-römischen Ägypten [Očerki organizacii promyshlennosti i torgovli v greko-rimskom Egipte], in: Wissenschaftliche Notizen der Kaiserlichen Universität von Kazan, Teil LXXIX, Buch 1/ Januar, Kazan 1912); 1. Essay; die nachfolgenden Quellenverweise sind Teil dieses Textauszugs. Fett gedruckt sind von P. Florenskij hervorgehobene Stellen.

[2] Flinders Petrie, W. M.: The arts and crafts of ancient Egypt, London 1900, S. 147

[3] Midgley, W. W. (Boston Museum): Linen of the Ill-rd Dynasty, in: Historical studies by Knobel, Midgley, Petrie etc. (British School of Archeology in Egypt. Vol. XIX, 1911, S. 37 – 39)

[4] Ebenda, S. 37

[5]  Flinders Petrie, W. M.: Deshasheh, Egypt Exploration Fund, London 1898, S. 31

[6]  Ebenda, S. 42

[7] Petrie schreibt hierzu übrigens: „Keiner dieser Stoffe ist ähnlich fein wie das königliche Leinen der 6. Dynastie, denn es handelt sich um übliche Produkte, die von gewöhnlichen Menschen benutzt wurden; trotzdem sind diese fein, feiner als unsere heutigen Gewebe.“ (Kursive Hervorhebung meinerseits; Petrie stützt weiter oben seine Schlussfolgerung durch eine Analyse dieser Stoffe.“ (Anm. Florenskijs)

[8] Königliche Museen zu Berlin (Hrsg.): Ausführliches Verzeichnis der aegyptischen Altertümer und Gipsabgüsse, 2. Aufl., Berlin 1899, S. 44, Nr. 8057 und 8058. (In Bezug auf diese Gewebe sagt Erman (Aegypten, S. 594): „Was uns von diesem feinsten Linnen erhalten ist, ist an Geschmeidigkeit und Zartheit fast mit unsern Seidenstoffen zu vergleichen“.)

[9] Diese Angabe stellt die Lauflänge in Metern pro Gramm des Garns dar.

[10] Braulik, August: Altägyptische Gewebe, Stuttgart 1900, S. 5 u. 39 (Vergl.: ebenda, S. 39 die Analyse der weniger feinen Gewebe von der Mumie des Pepi II.)

[11] Ebenda, S. 5 (vergl.: [Georg] Steindorff: Kunstgewerbe im alten Aegypten“ Leipzig 1898, S. 14)

[12] Vergl. Midgley, W. W.: o. A.: Hier haben die Proben A. Bu. 9 eine doppelfädige Basis.

[13] Spinn- und Zwirnmaschinen [Anmerkung von M. Chvostov]

[14] Vergleiche die hieroglyphischen Bezeichnungen für verschiedene Stoffsorten in der Grabkammer von Sekerkhabau aus der 3. Dynastie [Anmerkung von M. Chvostov]

[15] Flinders Petrie, W. M.: Dendereh, Egypt Exploration Fund, London 1898, S. 44 und Tafel III

[16] Ebenda, S. 45 (Epoche des Pepi II)

[17] Braulik, August: a.a.O., S. 12

[18] Ebenda, S. 12 und 73; Das hier betrachtete Gewebe ist der Zeit der 18. Dynastie zuzuordnen, siehe a.a.O. S. 41 (es wurde der Mumie des Thutmosis II. entnommen und anderen NB).

[19] Siehe Thomson, W. G., in: Carter, Howard & Newberry, Percy E.: The tomb of Thoutmôsis IV (Catalogue General des Antiquities Egyptiennes du Musee du Caire, vol. 14), Westminster 1904, S. 143 f. (Aufmerksamkeit verdienen die gemusterten Leinenstoffe mit teils eingewebten, teils gemalten und recht komplexen Mustern bei Georges Daressy, Fouilles de la Vallée des Rois, S. 302, Nr. 24987: einige Muster sind sehr komplex, z.B. auf Nr. 24987 die Gefangenen mit auf dem Rücken gebundenen Händen. Dies sind Stoffe aus dem Neuen Reich, leider ohne genauere Datierung.)

[20] Braulik, August: a.a.O., S. 76 – 80, S. 27 und S. 49

[21] Ebenda, S. 76 – 80

[22] Ebenda, S. 25 – 27 und S. 80 – 83

[23] Bissing, Friedrich Wilhelm von: Lesefrüchte, in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l’archéologie égyptiennes et assyriennes: pour servir de bullletin à la Mission Française du Caire, Nr. 29 (1907), S. 183

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